Neurodermitis und Therapien – neue Möglichkeiten & Grenzen – Team MN COSMETIC CONSULTING stellt 3 Fragen an Prof. Dr. med. Kristian Reich

Prof. Dr. med. Kristian Reich ist Facharzt für Dermatologie, Venerologie und Allergologie. Er ist zertifizierter Spezialist für Psoriasis, Neurodermitis und Teledermatologie (derma2go). Prof. Dr. med. Kristian Reich hat eine Professur für translationale Forschung bei entzündlichen Hauterkrankungen am Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf. Seine Forschungsschwerpunkte sind genetische und immunologische Mechanismen kutaner Entzündungen und maligner Erkrankungen und die Entwicklung neuer Therapien für entzündliche Erkrankungen wie Psoriasis und Neurodermitis.

1. Welche neuen SYSTEMISCHEN THERAPIEN gibt es aktuell zur Behandlung der atopischen DERMATITIS??

Über viele Jahre hat sich bei der Entwicklung neuer Systemtherapien für die atopische Dermatitis (Neurodermitis) nichts getan. Das letzte Medikament, welches in Deutschland zur Behandlung der Neurodermitis Ende der 90er Jahre zugelasssen wurde, war Cyclosporin. 
2017 dann die erste Neuerung mit Dupilumab, ein monoklonaler Antikörper, der an die Interleukin-4-Rezeptor α-Kette bindet und damit hemmdn auf die beiden Botenstoffe Interleukin-4 und 13 wirkt. Dann folgte 2020 die Zulassung einer neuen Tabletten-Therapie aus der Klasse der so genannten Januskinase-Inhibitoren, 2021 die Einführung eines Antikörpers gegen Interleukin-13 sowie zwei weiterer Januskinase-Inhibatoren. 
Es ist schon eine kleine Revolution, dass seit 2017 also insgesamt fünf neue Systemtherapien zugelassen worden sind, die uns erlauben, viel mehr Patienten gut und auch sicher zu behandeln. Dazu werden in Zukunft noch weitere Therapien vor allem aus der Gruppe der Antikörpertherapien kommen.

2. Wo sehen Sie die Grenzen und wo die Chancen der Therapien?

Beginn einer therapeutischen Revolution bedeutet, dass wir in relativ kurzer Zeit eine Vielzahl neuer Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung haben, mit denen wir Patienten behandeln und helfen können. Die Vielzahl der Möglichkeiten ist auch darum wichtig, weil auf keine Option alleine alle Patienten gut ansprechen. Wenn man eine mindestens 90%ige Besserung der Hautzeichen der atopischen Dermatitis als für Patienten meist sehr befriedigendes Behandlungsergebnis zugrunde legt, erreichen wir mit jeder einzelnen der 5 neuen Therapien bei etwa 20% bis 60% diesen guten Therapieerfolg. Zum Erreichen der derzeit von Experten diskutierten Therapieziele soll nach 3 Monaten eine mindestens 50%ige Besserung und nach 6 Monaten eine mindestens 75%ige Besserung der atopischen Dermatitis durch eine Therapie eingetreten sein. Wir haben aber aus der Behandlung anderer chronisch entzündlicher Hauterkrankungen wie der Schuppenflechte gelernt, dass auch relativ geringe Hautzeichen und -symptome Betroffene noch sehr belasten können. 
Ich gehe daher davon aus, dass zukünftige Therapieziele dem häufigen Wunsch der Patienten nach einer möglichst weitgehenden Besserung einer entzündlichen Hauterkrankung Rechnung tragen werden und behandele auch heute schon immer bestmöglich, in enger Absprache mit den Erwartungen der Patienten. 
Obwohl wir schon viele neue Medikamente zur Behandlung der atopischen Dermatitis haben, ist eine weitgehende Erscheinungsfreiheit aber nicht immer zu erreichen, auch weil wirksame Therapien gelegentlich aufgrund von Nebenwirkungen nicht weitergegeben werden können. Dies gilt insbesondere für die Tabletten-Therapie mit Januskinase-Inhibitoren, die außerdem in der Praxis nicht immer einfach zu handhaben sind. 
So muss vor Therapiebeginn eine latente Tuberkulose und aktive Hepatitis ausgeschlossen werden. Daher ist die Entwicklung weiterer neuer Therapien für die Behandlung der atopischen Dermatitis wünschenswert und das passiert auch.Es ist eine interessante Frage, die derzeit unter Ärzten und Forschern diskutiert wird, warum wir bei der Schuppenflechte mit der Blockade einzelner Botenstoffe oft höhere Ansprechraten erreichen können als mit einem vergleichbaren Ansatz bei der atopischen Dermatitis. Eine mögliche Antwort ist, dass die Entzündungsmuster komplexer sind und sich möglicherweise auch bei einem individuellen Patienten über die Zeit ändern können. Zudem spielen neben einer veränderten Immunantwort der Haut auch andere Faktoren bei der atopischen Dermatitis eine Rolle wie zum Beispiel eine Veränderung der Hautbarriere und der Zusammensetzung des kutanen Mikrobioms.

3. Welche Rolle spielt die kosmetische Pflege aus Ihrer Sicht bei der Behandlung der Atopischen Dermatitis?

Der Begriff „ganzheitliche Behandlung“ ist eine Art Modewort geworden, was aber nicht bedeutet, dass sich dahinter nicht etwas Gutes verbirgt. 
Aufgrund der knappen Zeit beim Arzt ist ein ganzheitliches Konzept oft schwierig umzusetzen, gerade bei chronischen Erkrankungen, was vielleicht auch zur Enttäuschung mancher Patienten beiträgt.
Wichtige Elemente eines ganzheitlichen Ansatzes sind dabei für mich auch Betroffenen dabei zu helfen, einen guten Umgang mit der Erkrankung zu finden und neben einer medikamentösen Therapie andere vielleicht hilfreiche Maßnahmen zu bedenken.
Wir wissen zum Beispiel, dass die Ernährung Einfluss auf unsere Darmflora hat, und wir wissen, dass die Darmflora immunologische Funktionen beeinflussen kann. 
Hautpflege kann einen positiven Einfluss haben, unter dem Motto „Ich schaue meine Haut an. Ich nehme meine Haut an. Ich tue etwas Gutes für meine Haut.“
Zudem geht die bei atopischer Dermatitis gestörte Hautbarriere mit einem vermehrten Wasserverlust der Haut einher. Da kann eine entsprechende Pflege sinnvoll gegensteuern und einer assoziierten Hauttrockenheit entgegenwirken.
Eine gute Hautpflege kann mögliche positive psychologische Effekte haben, aber auch ganz handfest einige Elemente der atopischen Dermatitis verbessern.

Mythen bei der systemischen Therapie der Atopischen Dermatitis:

1. Tabletten sind sicher und Antikörpertherapien sind unsicher.

Das ist schlicht unrichtig. Antikörpertherapien heißen auch deshalb zielgerichtete Therapien, weil sie gezielt einen oder zwei Botenstoffe hemmen, die bei der Erkrankung zu viel gebildet werden. Idealerweise führt das zu einer Normalisierung der gestörten Immunantwort und nicht zu einer Unterdrückung. 
Mögliche unerwünschte Wirkungen der Antikörpertherapien hängen natürlich auch davon ab, welcher Botenstoff genau gehemmt wird. 
Nach unserer bisherigen Erfahrung gehören die beiden aktuell verfügbaren Antikörpertherapien, Tralokinumab und Dupilumab, zu den sichersten Immuntherapien und stellen selbst in den Zeiten der Corona-Pandemie kein signifikantes Risiko dar. 
Ein weiterer Vorteil ist, dass kein Tuberkulosetest oder Hepatitis Screening sowie in der Regel keine Blut- und Laborkontrollen erforderlich sind. 
Therapien, die sehr viele Effekte haben, wie zum Beispiel Kortison-Tabletten, haben in der Regel auch mehr Nebenwirkungen. 
Auch die Tabletten-Therapie mit Januskinase-Inhibitoren, hat in klinischen Studien, grob gesprochen, mehr Nebenwirkungen als die Antikörpertherapien gezeigt, besonders war das Risiko von Infekten einschließlich viraler Infektionen durch Herpesviren angeht.

2. Mit der Antikörpertherapie ruiniere ich das Immunsystem.

Das stimmt wie bereits besprochen nicht. Wir wissen, dass bei den meisten Patienten mit atopischer Dermatitis bestimmte Botenstoffe zu viel gebildet werden und dann eine Kaskade von Ereignissen auslösen können, die letztlich zur Manifestation der atopischen Dermatitis führen. Die Antikörpertherapien sollen gezielt diese vermehrt produzierten Stoffe und das Immunsystem also nicht unterdrücken, sondern normalisieren. Antikörper kommen zudem ja bei jedem Menschen vor und beeinflussen andere Systeme wie zum Beispiel die Leber- oder die Nierenfunktion eher nicht. Andererseits kann hinter der atopischen Dermatitis auch ein komplexeres Geschehen stecken, bei dem eine ganze Reihe von Botenstoffen beteiligt sind. Verschiedene dieser Botenstoffe benutzen nach der Bindung an die Oberfläche von Zielzellen ganz bestimme Enzyme, um ein biologisches Signal von der Zelloberfläche zum Zellkern zu senden. Man bezeichnet diesen Prozess auch als Signaltransduktion.
Dabei gibt es viele verschiedene Botenstoffrezeptoren, aber nur relativ wenige verschiedene Enzyme. Januskinasen sind solche, an der Signaltransduktion beteiligen Enzyme.
Die Hemmung bestimmter Januskinasen kann bei komplexen Entzündungserkrankungen, darunter auch der atopischen Dermatitis, zum Teil zu einer deutlichen Besserung der Symptome führen, auch bei Patienten, die mit einer Antikörpertherapie nicht ausreichend gut behandelt werden können. 
Allerdings geht die breitere Hemmung auch mit möglichen immunsuppressiven Effekten und bei einigen Therapien mit zum Beispiel dem möglichen Risiko eines veränderten Abbaus anderer Medikamente in der Leber einher. 
Eine Auswirkung auf das Risiko an einer Coronavirus-Infektion zu erkranken oder eine geringere Impfantwort zu entwickeln, ist nicht auszuschließen.

3. Jeden Tag eine Tablette einnehmen ist angenehmer als einmal pro Monat eine Spritze zu bekommen.

Eine Tabletteneinnahme über eine kurze Zeit, zum Beispiel Antibiotika bei Infektionen für sieben Tage ist von den meisten Menschen gut umsetzbar.
Aber bei chronischen Erkrankungen, wenn jeden Tag zu bestimmten Zeiten über viele Monate und Jahre hinweg eine Tablette eingenommen werden muss, unabhängig von der Zeitzone oder den alltäglichen Herausforderungen, kann dies für Patienten schwierig sein.
Da ist es nach meiner Erfahrung für viele Patienten einfacher, einmal im Monat eine Spritze zu bekommen und an den anderen dreißig Tagen an nichts denken zu müssen, was die Therapie betrifft. Ja, die Spritzen müssen im Kühlschrank aufbewahrt werden, aber das ist in der Regel kein Problem. Die meisten Patienten lernen auch problemlos, sich selbst im Abstand von Wochen eine Spritze in das subkutane Fettgewebe zu verabreichen. 
Bei Patienten mit wirklicher Spritzenphobie ist die Möglichkeit einer Tablettentherapie natürlich segenreich. Aber zusammenfassend lässt sich sagen, dass es bei chronischen Erkrankungen nicht immer einfach ist, jeden Tag eine Tablette einzunehmen als zum Beispiel einmal im Monat eine subkutane Injektion zu erhalten.

Herzlichen Dank für das Interview, Prof. Dr. med. Kristian Reich!

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